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Pilsner Urquell – Wieviel Craft steckt in dem Klassiker?

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PilsenEdit0010Es gab nicht wenige Besucher, die auf der diesjährigen “Braukunst Live!” in München gezuckt haben, als sie die Gutscheine für vier Bierproben am Eingang in die Hand gedrückt bekamen. Dort war auch die tschechische Brauerei Plzeňský Prazdroj vertreten, die mit ihrem Bier , dem “Pilsner Urquell”, sicher vordergründig nicht der Inbegriff des Craftbieres war, wegen dem man ja meist auf die Messe gekommen war. Zu unrecht!? Denn eine Brauerei, die seit dem ersten Sud vom 5. Oktober 1842 – der für die gesamte Bierwelt ein Novum darstellte – nach eigenen Angaben das Rezept nicht verändert hat und daneben bislang kein zweites Bier auf den Markt gebracht hat, hat zumindest eines: Mut und Hartnäckigkeit bewiesen und damit letztlich Erfolg gehabt!

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Erste Sudpfanne von Josef Groll

Und das sicher auch aus dem zweiten Grund, denn man hatte sich mit diesem Bier ganz auf die Idee des neuen bayrischen Braumeisters Josef Groll verlassen, den man angeheuert hatte, um eigentlich ein dem bayrischen Bier sehr ähnlichem – und damit dunklem – Bier zu brauen. Frech könnte man nun behaupten, dass dieser Josef Groll dem Geiste nach vielleicht einer der ersten Craftbierbrauer war. Immerhin erkannte er das Potential, das im nicht zu bitteren Saatzer Hopfen, dem weichen Wasser am Standort der Brauerei und vor allem der Möglichkeit mit einer aus England stammenden Darre steckte mit der er helles Malz herstellen konnte. Viel heller als es unter den Bedingungen, die damals in Bayern üblich waren, möglich war, denn hier wurde das Malz nicht selten offenen Flammen ausgesetzt und dies hatte nicht selten – vorsichtig formuliert – eine deutlich dunklere Farbe als gewünscht zur Folge. Auch setzte er auf untergärige Hefen statt der sonst üblichen obergärigen Stämme. Ein bischen Craftgedanke von heute ist für mich da schon zu erkennen.

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Brauhaus zu Pilsen

Wie man aber nun in Pilsen und Umgebung zunächst auf das Bier reagierte, welches da die Brauerei in goldener Farbe verliess, ist mir nicht bekannt. Bekannt ist aber, dass die gleichzeitig immer stärker werdende industrielle Fertigung von Glas einen nicht zu unterschätzenden Anteil am Erfolg gehabt haben dürfte. Denn anders als bei den bayrischen Kollegen, deren Bier in blickdichten Tonkrügen ausgeschenkt und getrunken wurde, konnte man das Pilsner Bier im Glas in seiner ganzen goldenen Pracht sehen. Also auch eine damals völlig neue Form das Bier zu erleben. Auch hier drängen sich Vergleiche mit heute auf.

Der Rest ist eigentlich Geschichte. Nur wenige Brauereien können von sich behaupten, dass ihr Produkt als zweifelsfrei Ursprung eines ganzen Bierstils gesehen werden kann. Denn der Pilsner Braustil trat von Pilsen aus seinen Siegeszug um die ganze Welt an. Markenrechtlich hatte man hier wohl verschlafen sich das “Pilsner” als eigene Marke schützen zu lassen – als man dann aber auf diese Idee kam, war es zu spät und als de facto Standard nicht mehr markenrechtlich schützbar. Aus der Not eine Tugend machend wurde 1898 dann aber zumindest ein Weg gesucht und gefunden die Tatsache, dass es sich bei dem tschechischen Bier um das “Original” – in diesem Fall die “Urquelle” des Pilsstils handelte, als Marke eintragen zu lassen.

PilsenEdit0032Nach nunmehr 171 Jahren ist aus dem böhmischen Bierexperiment eine Weltmarke geworden wie es aufgrund der Geschichte, die sich in Böhmen zugetragen hat, kaum eine Zweite gibt.

Aus der Brauerei in Pilsen ist auch ohne zutun eines internationalen Branchenriesen ein Konzern geworden, der am tschechischen Markt schon vor der Beteiligung von SABMiller Marken wie Velkopopovicky Kozel und Gambrinus zu vereinigen suchte. Hier vermutlich ist es dann nach moderner Lesart auch aus mit dem Craftbiergedanken, denn mit heute über 2 Millionen Hektoliter Jahresproduktion (zum Vergleich 8,9 Mio Hl in Österreich gesamt),  nur vom “Pilsner Urquell” – von dem ca. die Hälfte in den internationalen Export in 55 Länder weltweit geht – hat man schon vor sehr  längerer Zeit den Sprung in die industrielle Fertigung gemacht.

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Holzfassreifung in Pilsen

SABMiller  – nur zur Erinnerung – ist ein internationaler Konzern in dem sich hierzulande mehr oder weniger bekannte Biermarken wie Fosters, VB, Blue Moon, Castle, Coors, Peroni, Grolsch, Tyskie und Strongbow vereinigen. Nach AnhaeuserBusch InBev handelt es sich bei SABMiller um den zweitgrößten Brauereikonzern weltweit. Von der Papierlage her also nicht gerade das, was man als Craftbierliebhaber als Zielmarken ausmachen würde.

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Auch wenn Tschechien noch immer nahezu unerreichbar scheinender Spitzenreiter im pro Kopf Bierkonsum ist, so ist hier wie in Deutschland der Rückgang inzwischen dramatisch gewachsen, so dass der Bierabsatz selbst im Heimmarkt sein Selbstläufer mehr ist. Auch wenn natürlich die Position aus der man agiert durchaus komfortabel ist. Aber auch in Tschechien bzw. Österreich merken die “Großen” den Druck, der nicht zuletzt von der Craftbierszene erzeugt wird bzw. das damit verbundene Umdenken bei den Konsumenten hin zu qualitativ hochwertigem Bier und dem neuen Selbstverständnis eines Biers weg vom blanken “Durstlöscher” hin zum “Genussmittel”.

PilsenEdit0017Was aber tun, wenn gerade wie bei einer Marke wie “Pilsner Urquell” alles so statisch einzementiert scheint. Unverändertes Rezept. Ein einziges Bier. Lange Tradition. Die Frage nach den möglichen Spielräumen ist schnell gestellt – jedoch weniger schnell beantwortet. Hinzu kommt noch, dass gerade in Tschechien der Braumeister des “Pilsner Urquells”, Vaclav Berka nicht nur ein Ansehen wie ein Rockstar geniesst. Hier ist – auch wenn dieser freilich nicht auf eine 171 jährige Karriere zurückblickt – das Bier auch sehr stark mit der Person des Braumeisters in der öffentlichen Wahrnehmung verbunden. Sicher ein Punkt, der wieder stark an die moderne Craftbierszene erinnert. Und auch er ist mit seiner Familie inzwischen in dritter Generation bei “Pilsner Urquell” für das Bier verantwortlich. Kontinuität ist also offensichtlich auch kein Fremdwort – auch wenn die Beteuerung, dass sich der Geschmack in den letzten Jahrzehnten nicht verändert hat natürlich schwierig nachprüfbar ist. Glauben wir es aber mal. Jedenfalls erscheint die Konstanz im Produkt bereits bestanden zu haben, bevor noch industrielle Konzernvorgaben der Neuzeit hier eine “Geschmacksvereinheitlichung” vorgeschrieben haben können.
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Offene Gärung für das Tourbier

Die Zukunft sieht man also bei SABMiller respektive Pilsner Urquell darin, genau diese Tradition und die “alten Werte” zu unterstreichen. Kompromisslos werden zum Beispiel auch die alten Braumethoden wie eine Direktbefeuerung der Sudpfanne fortgeführt, um das Geschmackserlebnis konstant zu garantieren. Braumeister Vaclav Berka zieht bei der Brauerei den Vergleich zu den Beatles, die mit ihrer Musik noch immer prägend für mehrere Generationen Musik sind und deren Kompetenz nahezu unantastbar scheint. Genau nach diesem Vorbild möchte sich nun “Pilsner Urquell” am weltweiten Markt positionieren. Getreu dem möglichen Beatles Motto: Alle spielen Rock – aber wir haben ihn “erfunden” möchte man, dass die Bierwelt sich auf die Wurzeln des modernen Lagerbieres aus Pilsen zurückbesinnt!

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Historische Karte des Gär- und Lagerkellers

Das Zielgruppenmarketing geht dabei nun neue Wege, um genau die Bierliebhaber zu erwischen, die “auch mal 10 Krügerln” am Abend trinken und nicht nur ein kleines Bier als Aperitiv und dann zu Prosecco und Wein übergehen. Insofern werden durchaus auch entsprechende Sponsoring Aktivitäten (z.B. Golfturniere) der Vergangenheit überdacht. Im Rahmen einer Einladung von SABMiller in die Brauerei nach Pilsen hatten wir die Gelegenheit mit Wolfgang Hinterdobler, dem “ständigen Vertreter” von SABMiller Europe genau diese Themen zu besprechen und die Neuausrichtung der Marke “Pilsner Urquell” zu besprechen. Zentrale Elemente hierbei sind in den nächsten Monaten die Multiplikatoren im Bereich der Online- und Sozialen Medien (sprich Bierblogger, Facebook, etc.) und echte Bierfreaks, die in der lokalen Community als solche anerkannt sind als erste Multiplikatorenebene und danach die Gruppe derer, die als Bierspezialisten in ihrem Bekanntenkreis gelten und so zu einer weiteren Verbreitung nach unten beitragen können. Eine Art virales Marketing in der “richtigen Welt” wird hier also angestrebt.

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Propeller, Graz – © Wolfgang Hinterdobler

Als weiteres Element soll das Bier “erlebbar” gemacht werden. Konkret bedeutet das “Tankbier” in der SABMiller Philosophie – quasi ein “Gasthausbrauen” für die Kleinen. Beim Tankbier wird in Gastronomie mit entsprechendem Bierumsatz das Bier direkt in einen Tank (mit “Innensack”) gepumpt, der dann ein Zapfen ohne weitere Zugabe von Kohlensäure des Bieres ermöglicht. Da es sich hierbei um nicht pasteurisiertes Bier handelt ist es essentiell, dass die Kühlkette zwischen Brauerei und Tank in der Gastronomie ununterbrochen ist. Maximale Frische des Bieres soll so garantiert werden. Maximiert wird aber durch solche Maßnahmen aber auch der Bierkonsum, denn Wolfgang Hinterdobler berichtet von internen Marktstudien, die einen mindestens 20% höheren Bierumsatz bilanzieren, wenn “Bier in der Gastronomie sichtbar” wird. Jüngstes österreichisches Beispiel ist das “Propeller” in Graz, bei dem sowohl im Aussen- als auch im Innenbereich eine derartige Tankanlage aufgestellt wurde und grün hinterleuchtet als extrem stylischer Blickfang dient. Zwei weitere Tankbier-Lokale gibt es seit geraumer Zeit in Wien mit dem “Zattl “ und dem “Estancia Santa Cruz”.

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Nicht schlecht sondern “Milk-gezapft” – © Pilsner Urquell

Aber beim Tank macht man nicht halt – auch zapft man nun das Bier anders bzw. auf drei unterschiedliche Arten. “Crisp”, “Smooth” und “Milk” stehen mittels eigener neuer Schanktechnik zur Verfügung – wohlgemerkt beim gleichen Bier. Wenn “Smooth” und “Crisp” noch an klassisch gezapfte Biere erinnern, dann wirkt “Milk” optisch wie ein schlecht gezapftes Bier bei dem der Schaum 95% des Glases beansprucht. Trinkt man diesen Schaum aber, so merkt man, dass es sich tatsächlich nicht nur um Schaum sondern ein milchig cremiges Bier handelt mit dem man tatsächlich ein neues Trinkerlebnis kreiert hat. Ich für meinen Teil ziehe ein klassisches Zapfverfahren vor, aber es gibt sicher eine Zielgruppe für diesen Zapfstil und ins Gespräch über Bier kommt man so allemal.

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Neben dem Bier eine Reise wert: Das Gulasch!

Eine vollständige Entwicklung von “Pilsner Urquell” in Richtung der heutigen Craftbierbewegung erscheint mir nach den zwei Tagen in Pilsen und Prag nicht möglich und auch nicht beabsichtigt. Positiv kann sicher vermerkt werden, dass es bei diesem Bier eine richtungsweisende Geschichte in Bezug auf den gesamten weltweiten Biermarkt gegeben hat, die nicht einmal der größte Craftbierfan verleugnen kann. Hierauf kann man sicher “seine Story” aufbauen. Bier als Genussmittel etablieren zu wollen und dabei neue Wege zu gehen ist ohnehin fast grundsätzlich zu begrüßen. Alle diese Bewegungen und Bestrebungen sind letztlich gut, um dem Image des Bieres in Summe zu helfen und zu verbessern. Um weiterhin glaubwürdig zu bleiben ist es aus meiner Sicht aber erforderlich, diesen eingeschlagenen Weg nicht zu verlassen und nicht zu vergessen wer man ist – gleichzeitig aber auch nie versuchen sollte etwas zu sein, das man nicht ist. Und das klingt im Moment sehr interessant und vielversprechend.